Garten-Lektionen #2: Wenn zwei sich ergänzen

Allein unter Fremden

Wir haben eine einzige Edelrose im Beet neben unserer Eingangstür. Nur eine, in lachsrosa. Die Vorbesitzer haben sie gepflanzt. Sonst haben wir nur englische, alte, romantische und auch ein paar moderne nostalgische Rosen. Kletterrosen, die anmutig Rankgitter oder Zaun erobern. Strauchrosen, die hier und da unserem „Grünen Raum“ Farbe verleihen. Und kleinere Rosenbüsche, die in vielen verschieden großen Kübeln und Töpfen unseren Hof verschönern. Alles keine Edelrosen.

Stakselige Gesellin

Unsere Edelrose hat eine schöne Farbe. Sie bringt immer wieder recht ansprechende Blüten hervor. Sie fällt ins Auge. Und doch: Mein Fall ist sie nicht. Ihr Wuchs ist ganz gerade, „stakselig“, wie ich es getauft habe. Wie Soldaten stehen die Zweige nebeneinander, mit den einzelnen Blüten obendrauf. Nicht mein Fall. So stakselig. So angestrengt. So unfrei. Die englischen Rosen dagegen: etwas wild, schön buschig, die Blüten wippen im Wind. Einfach natürlich und anmutig. So müssen Rosen sein!

Wir wohnen jetzt seit zehn Jahren auf unserem Hof, und diese Rose war immer da. Mit einem kleinen inneren Seufzer habe ich immer wieder die verblühten Köpfe entfernt, damit neue nachwachsen können. Na ja, wenn ich ehrlich bin, habe ich sie dabei jedesmal richtig eingekürzt. In der Hoffnung, dass sie dann irgendwie lockerer nachwächst. Was sie nicht tat.

Gleich und gleich?

Letztes Jahr hatte ich genug. Ich hatte keine Lust mehr auf diese stakselige Gesellin Edelrose, die auch noch so stark ins Auge fällt. Nein, ich habe sie nicht entfernt, das brächte ich nun doch nicht übers Herz. Ich habe der Madame ein Pendant, ein Gegenstück gegeben: eine Clematis, die ich als Hintergrund an die Wand gepflanzt habe. Sie ist in einem Jahr über zwei Meter hoch gewachsen und ist jetzt etwas so ganz Anderes als die Rose: Viele feine Schlingen mit kleinen Blättern und zarten blauen Blüten winden sich luftig hinter der Rose empor. Gar nicht stakselig! Ganz anders. Eine Gegenspielerin, ein Gegensatz. Ein Kontrapunkt.

Ich schaue mir die Beiden an und denke plötzlich: wie schön! Zwei so unterschiedliche Pflanzen, und sie sehen zusammen richtig gut aus. Sie ergänzen sich. Und erst gemeinsam wirken sie richtig stark. Das Gerade und das Spielerische. Das Ordentliche und das leicht Verworrene. Das Zielgerichtete und das Erkundende. Beide bereichern sich und ergeben zusammen ein neues Bild: spannend, bereichernd. Schön.

Zusammen wird´s rund

Und dann kommt es mir: Bei uns Menschen ist es doch auch so. Es gibt manche, die wir als zu korrekt empfinden, zu steif. Zu wenig spielerisch. Und wieder andere, die uns so überaus locker vorkommen, die sich so wenig an Regeln halten. Die einfach ihr Ding machen, egal was. Unmögliche Menschen, die einen wie die anderen. Allein einfach ein Unding. Aber wenn sie zusammenkommen! Wenn sie sich annähern! Wenn sie es wagen! Etwas Neues entsteht, es wird kreativ. Es wird spannend. Die Kombi wirkt.

Wir können völlig unterschiedlich sein, und genau das macht es dann aus. Ob in Teams oder bei Paaren: Es wird bunt, bereichernd, interessant, schön, wenn wir uns zusammentun. Und wenn wir das Unterschiedliche als Ergänzendes sehen und feiern. Wenn wir staunen über das, was wir einander geben können. Wenn wir den Anderen als Geschenk annehmen. Als den Fremden, der uns bereichert. Als Gegenüber, das uns erst zu dem macht, das wir sind.

Karin Dölla-Höhfeld
www.doella-hoehfeld.de